Evangelischer Arbeitskreis der CDU in Hessen

Stellungnahme zur aktuellen Organspende-Diskussion

Der EAK-Bundesvorsitzende, PSt Thomas Rachel MdB, und der EAK-Bundesvorstand nehmen Stellung zur aktuellen Debatte zum Thema „Organspende“. Das Ziel, die Zahl der Organtransplantationen in Deutschland zu vergrößern, ist ausdrücklich zu begrüßen, dieEinführung einer „Widerspruchslösung“ wird dagegen entschieden abgelehnt. Diese Stellungnahme wurde am 12. November 2018 auf der EAK-Bundesvorstandssitzung am Rande der Herbstsynode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Würzburg einstimmig beschlossen.
 Zusammen mit den beiden großen Kirchen in Deutschland würdigen wir, dass die Organspendeeine besondere „Tat der Nächstenliebe über den Tod hinaus“ sein kann1. Vor dem Hintergrund des niedrigsten Standes von Organtransplantationen, den wir seit 20 Jahren zu verzeichnen haben, und mit den rund 10 000 Schwerstkranken, die dringend auf ein Organ warten, begrüßen wir das imKoalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD beschlossene Vorhaben, die Zahl der Organspenden in Deutschland zu erhöhen2.

Das ethische Ziel, möglichst vielen Notleidenden helfen zu können, darf jedoch nicht dazu führen, dass über die angemessenen Instrumente, Mittel und Wege zur Erreichung dieses Zieles in ethischer Hinsicht nicht ebenso intensiv und verantwortlich nachgedacht wird. Darum ist es wichtig, zu Beginn der Reformdiskussion zur Organspende eine genaue Analyse der Strukturen, Verfahren und Organisationsabläufe der klinischen Praxis von Organtransplantationen vorzunehmen und eine möglichst präzise und detaillierte Ursachenforschung für den gegenwärtig wenig befriedigenden Stand der Dinge zu betreiben.
 

Dabei sollten sämtliche hiermit verbundenen ethischen Problemlagen von Anfang an mit einbezogen werden, beispielsweise die Intransparenz, Kompliziertheit und Fehleranfälligkeit des gegenwärtigen Gesamtsystems, die Debatte über den „Hirntod“, die Frage der gerechten Verteilung der gespendeten Organe, die Berücksichtigung des Themas Organspende in der Patientenverfügung3 und nicht zuletzt auch die notwendigen psychosozialen Betrachtungen.

Zunächst ist jedoch grundsätzlich zwischen der (allgemeinen wie besonderen) Organspendenbereitschaft und der Gesamtzahl der vollzogenen Organtransplantationen zu unterscheiden. Trotz der zahlreichen Skandale in den letzten Jahren, die zweifelsohne viel Vertrauenskapital verspielt haben, ist die allgemeine Spendenbereitschaft in Deutschland nach wie vor sehr hoch, sie liegt bei ungefähr 80 Prozent. Immerhin ein ganzes Drittel der Deutschen besitzt einen Organspende-Ausweis4.

Das zeigt, dass die entscheidenden Ursachen für den Rückgang der lebensrettenden Organtransplantationen nicht einfach an der mangelnden Spendenbereitschaft in der Bevölkerung liegen können. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es im bestehenden System massive strukturelle Probleme gibt, die politisch zu allererst in den Fokus genommen werden müssen. Mittlerweile liegen bereits zahlreiche Lösungsvorschläge auf dem Tisch, u.a. zur Stärkung der Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern, zu angemesseneren und wirtschaftlich vernünftigeren Vergütungsregelungen sowie zu weiteren Intensivierungen der Aufklärungs-, Beratungs- und Informationsmaßnahmen im Hinblick auf alle relevanten Aspekte der Organspende (unter besonderem Einschluss der medizin-ethischen Fragestellungen). Eine weitere sinnvolle Ergänzung des Instruments der Organspendeausweise könnte darüber hinaus in der Schaffung einer zentralen digitalen Datenbank liegen, die den sicheren Zugriff zu den wichtigen und sensiblen Daten aller freiwilligen Organspender viel besser, schneller und effektiver gewährleisten würde5. Doch vor allen diesen möglichen Einzelmaßnahmen und weiter reichenden politischen Forderungen sollten erst einmal die bestehenden Regelungen und Strukturen des Transplantationswesens in Deutschland einer gründlichen, differenzierten und systematisch- kritischen Gesamt-Überprüfung unterzogen werden.
 

Wenn man die Organspendeauf der Basis des Christlichen Menschenbildes als einen besonderen Akt der Nächstenliebe versteht, so ist hiermit notwendigerweise der Gedanke der christlichen Freiheit und Freiwilligkeit untrennbar verbunden. Das gilt in besonderer Weise, wenn man den Menschen in seiner von Gott geschaffenen Körperlichkeit als eine leib-seelische Einheit versteht, die – unbeschadet ihres jeweiligen somatischen Zustandes in dieser Welt ohnehin erst noch auf ihre letzte jenseitige Vollendung hin ausgerichtet ist.

Darum ist jeder Zwang und jeder Druck in dieser ganz persönlichen Gewissensfrage, die ja auch jenseits eines dezidiert christlichen Hintergrundes immer auch vergleichbar gewichtige und unbedingt zu respektierende Werthaltungen und Pietätsvorstellungen implizieren kann, von vorne herein nicht nur gänzlich unangebracht und dem Charakter einer freiwilligen Spende wesensfremd, sondern aufs Ganze gesehen auch sogar kontraproduktiv.

Dem Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Prof. Dr. Peter Dabrock, ist daher recht zu geben, wenn er die Einführung einer Widerspruchslösung als höchst problematisch erachtet: Eine Widerspruchslösung als Alternative zur bisherigen Regelung würde einen wirklich tiefen Eingriff in das Selbstverfügungsrecht über den eigenen Körper“ darstellen und das mögliche Schweigenwürde dann künftig einfach als eine Zustimmung in einen Bereich, der als höchst persönlich gilt, gewertet werden7. Dies wäre ein schon von Grund auf verfehlter Zugang zu einer Thematik, die doch ganz wesentlich davon abhängt, dass Freiheit und Autonomie bei der persönlichen Entscheidungsfindung auch vollumfänglich respektiert und geschützt werden.

Die Widerspruchslösung folgt der fragwürdigen Logik“ der Beweislastumkehr, gemÃ¤ß den einschlägig bekannten Mustern der Datenschutzgrundverordnung (DGVO) oder desAntidiskriminierungsgesetzes, in diesem speziellen Fall dann allerdings ausgerechnet zu Lasten der elementaren Schutzrechte der einzelnen Person. Eine solche Beweislastumkehr würde - sowohl aus einer liberalen und am christlichen Freiheitsgedanken geschulten als auch aus einer wertkonservativen Perspektive heraus – nicht weniger als einen hoch problematischen Bruch mit bisherigen Konstanten in der Grundprogrammatik beider Unionsparteien bedeuten. Ihre Einführung hätte die gravierende Konsequenz, dass aus der ursprünglich freien Spendengabe nun eine Art Bringschuldfür alle entstünde und der menschliche Körper damit im Grunde genommen zu einem Objekt staatlicher Sozialpflichtigkeit“ gemacht werden würde9.

Der Ausgangspunkt in dieser Frage wäre fortan nicht mehr das natürliche und grundgesetzlich garantierte persönliche Selbstverfügungsrecht, sondern ein massives Eingriffsrecht des Staates in die elementaren Belange (körperliche Unversehrtheit) einer jeden Person, die ihr Selbstverfügungsrecht erst wieder durch einen zusätzlichen, abwehrenden Rechtsakt, nämlich den ausdrücklich formulierten Widerspruch, zurückerlangen könnte.

Solches aber wäre, wie auch ausnahmslos alle bisherigen Stellungnahmen der beiden großen Kirchen in Deutschland belegen, auf der Basis einer christlichen Anthropologie (mit ihren ganz besonderen theologischen Sensibilitäten in Bezug auf die unantastbare Würde des Menschen) kaum seriös zu begründen.

Gegen die Einführung einer Widerspruchslösung sprechen letztlich aber nicht nur gewichtige ethische Gründe, sondern ganz handfeste empirische Fakten: Gerade der oft bemühte Vergleich mit der Situation in den anderen Ländern Europas und der Welt verfängt bei näherer Betrachtung nämlich nicht, denn es lässt sich auch dort kein wirklich belastbarer, positiver Zusammenhang zwischen der Einführung einer Widerspruchsregelung auf der einen und dem Anstieg der Organspenden auf der anderen Seite nachweisen.

Mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) halten wir deshalb daran fest: Eine christliche Verpflichtung zur Organspende gibt es (...) nicht: Christinnen und Christen können der Organspende zustimmen; sie können sie aber auch ablehnen oder unbeantwortet lassen, wenn sie sich gegenwärtig nicht in der Lage zu einer Entscheidung sehen. Alle diese Optionen sind christlich verantwortbar und ethisch zu respektieren.10

Deshalb lehnt der EAK-Bundesvorstand die Einführung einer Widerspruchslösung entschieden ab und plädiert stattdessen für die Beibehaltung der aktuell gültigen (erweiterten) Entscheidungslösung, die man – um Missverständnisse zu verhindern – doch besser eine„Befragungslösung“ nennen sollte.

Eine einmal getroffene Entscheidung für oder gegen die persönliche Organspende muss dabei keineswegs als unverrückbar betrachtet werden: Als durch und durch zeitliche, unvollkommene und endliche Wesen sammeln wir schließlich lebenslang immer wieder neue Erfahrungen, entwickeln fortwährend neue und andere Perspektiven und ändern bisweilen auch manche unserer zuvor getroffenen Einschätzungen und Positionen.

Darum wäre es ausgesprochen sinnvoll, wenn wir uns als Bürgerinnen und Bürger von staatlicher Seite - in gewissen größeren turnusmäßigen Abständen und auf noch zu findenden, geregelten und verbindlichen Verfahrenswegen - über diese so wichtige Frage immer wieder einmal neu befragen ließen11. In einer solchen, gewissermaßen behutsam modifizierten Entscheidungslösung („verbindliche Entscheidungslösung“) oder besser „Befragungslösung“ - auf der Basis des unangetasteten Freiwilligkeitsprinzips - könnte dann auch eine Menge Positives für diejenigen liegen, die sehnlichst auf ein Spenderorgan hoffen.

 

„Gott ist ein Freund des Lebens -Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens“, Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, Trier 1989, S. 103.
„Ein neuer Aufbruch für Europa - Eine neue Dynamik für Deutschland - Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, Berlin (12.März) 2018, S. 100 (Zl. 4636): „Wir wollen die Zahl der Organspenden inDeutschland erhöhen“.

Werz.B.lebensverlängerndeMaßnahmenfürdenFalleinerschwerstenHirnschädigunginseinerPatientenverfügungausschließt, kann nicht Organspender sein. Wer aber seine Organe in einem solchen Fall spenden möchte, sollte in etwa folgenden Satz in die Patientenverfügung aufnehmen: „Ich wünsche keine lebensverlängernden Maßnahmen, außer ich komme als Organspender infrage.“
Vgl.A.Steiner„WerverdientanOrganspenden“,F.A.S.,9.September2018,S.23.Siehehierzuauch:„InformationenzurEntwicklung der Zahl der Organspenden und zum Organspende-Verfahren in Deutschland, Kroatien, Schweden, Spanien und den USA“ –Dokumentation des WD des dt. Bundestages (WD 9 – 3000 – 025/18).

Vgl. auch das im Positionspapier der AG-Gesundheit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag „Prozesse optimieren – Organspende in Deutschland stärken“ (Beschluss vom 11. Juli 2018) auf S. 6 hierzu Ausgeführte: „Problematisch ist, dass Ärzte in Krankenhäusern vor allem in Notfallsituationen nicht wissen, ob sie es mit einem Patienten zu tun haben, der bereit ist, seine Organe zuspenden oder können dies nur mit erheblichem Aufwand ermitteln. (...) Ein zentrales Register, das alle Personen aufführt, die bereit sind Organe zu spenden, könnte hier Abhilfe schaffen. Hier könnte man die Regelung in § 2 Abs. 3 TPG weiterentwickeln. Ein besonderes Augenmerk müsste man auf Aktualität und Vollständigkeit des Registers legen. Eine weitere Möglichkeit wäre ein Vermerk auf derGesundheitskarte, wie in § 291a Abs. 3 Nr. 8 SGB V bereits angelegt.“

Dem Oberbegriff „Organspende“ ist hier gegenüber dem allzu technisch anmutenden Begriff der „Organentnahme“, der zudem diekomplementäre Empfängerseite ausblendet, der Vorzug zu geben.
Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/widerspruchsloesung-bei-organspende-tiefer-eingriff-in- das.694.de.html?dram:article_id=427180

Wolfgang Huber, Der gemachte Mensch – Christlicher Glaube und Biotechnik, Berlin 2002, S. 71.
S. https://www.evangelisch.de/inhalte/152061/03-09-2018/ethikratsvorsitzender-haelt-widerspruchsloesung-fuer- organabgabepflicht

10 Nikolaus Schneider, Geistliches Wort zur Organspende, Hannover 2012 https://www.ekd.de/23599.htm

11 Eben inklusive der Möglichkeit, keine Entscheidung treffen zu müssen!